Bürgerbeteiligung beim Tempelhofer Feld: Alles Schlechte kommt von oben
Bürger*innenwerkstatt, Ideenwettbewerb, Volksbefragung: Das sind die drei Zauberwörter, mit denen die schwarz-rote Koalition ihr Herzensprojekt, die Teilbebauung des Tempelhofer Felds, möglichst demokratisch aussehen lassen will. Unklar ist weiterhin, wie genau die Verfahren ausgestaltet werden – und ob eine vom Parlament verordnete Volksbefragung überhaupt rechtlich umsetzbar ist.
Die erste Stufe des direktdemokratischen Hokuspokus will der Senat bereits im April zünden: Ab dann sollen rund 500 repräsentativ ausgewählte Bürger*innen in der „Werkstatt“ Ideen sammeln für die Bebauung des Felds. Parallel soll ein internationaler „Ideenwettbewerb“ veranschaulichen, was auf dem Feld entstehen könnte.
Das kostet Geld – viel mehr, als im Haushaltsplan für 2024 und 2025 veranschlagt war. Das geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Katalin Gennburg hervor, die der taz vorliegt.
Demnach sollen die „Bürger*innen-Werkstatt“ und der „Ideenwettbewerb“ sowie ein dazugehöriger „Online-Dialog“ insgesamt 3 Millionen Euro kosten. Eingeplant waren eigentlich nur 1,2 Millionen Euro. Hinzu kommen noch Personalkosten für die drei Vollzeitstellen, die geschaffen werden sollen. Das wären zusätzlich rund 200.000 bis 275.000 Euro pro Jahr.
„Sündenfall der direkten Demokratie“
Woher das fehlende Geld kommen soll, ist ungewiss. Katalin Gennburg zeigte sich angesichts der Haushaltslage empört: „Auf der einen Seite wird ein teurer Hochglanzwettbewerb ausgelobt, um Fantasiebilder zu malen, auf der anderen Seite sollen soziale Träger und Kinder- und Jugendeinrichtungen das Licht ausmachen“, sagt die Linken-Abgeordnete der taz.
Doch nur die Kosten des Verfahrens zu kritisieren, greift laut Gennburg zu kurz. Insgesamt sei der Umgang der schwarz-roten Koalition mit dem Tempelhofer Feld ein „Sündenfall der direkten Demokratie“: „CDU und SPD erfinden sich die Standards für direktdemokratische Verfahren, wie es ihnen passt“, so Gennburg.
SPD will von oben verordnete Volksbefragung
Erfinderisch hatte sich etwa jüngst die SPD-Fraktion bei ihrer Klausurtagung in Leipzig gezeigt: Die Abgeordneten sprachen sich dafür aus, dass das Abgeordnetenhaus von sich aus Volksbefragungen ansetzen kann, um Änderungen von Gesetzen zur Abstimmung zu stellen, die selbst durch einen Volksentscheid beschlossen wurden. Es gibt nur ein Gesetz in Berlin, auf das dieses Kriterium zutrifft: das Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes von 2014, das die Bebauung des ehemaligen Flughafens untersagt.
Strittig ist die Frage, ob für die Pläne der SPD-Fraktion eine Verfassungsänderung notwendig wäre – für die die schwarz-rote Koalition keine Mehrheit hätte. Die Fraktion meint, um eine sogenannte konsultative Volksbefragung einzuführen, genüge ein mit einfacher Mehrheit beschließbares Gesetz.
Abstimmung parallel zur Bundestagswahl 2025?
Der Verein „Mehr Demokratie“ sieht das anders: „Direkte Demokratie als Instrument der Staatswillensbildung muss in der Landesverfassung geregelt werden“, erklärte der Verein am Montag. Darüber hinaus schreibe Artikel 100 der Berliner Landesverfassung vor, dass jede Einführung neuer direktdemokratischer Instrumente einer Volksabstimmung bedarf.
Die Linken-Abgeordnete Gennburg warnt, durch die Volksbefragung von oben werde die Demokratie „massiv ausgehöhlt“. Insgesamt werde nun deutlich, mit welcher Dramaturgie der Senat die Bebauung des Tempelhofer Feldes durchsetzen will: „Die Bürger*innenwerkstatt wird das Wie der Bebauung thematisieren, aber auch der Form halber einige kritische Stimmen zur Frage des Obeinbinden. Der Ideenwettbewerb produziert derweil schöne, suggestive Bilder.“ Die könnten dann laut Gennburg der Berliner Bevölkerung bei einer Abstimmung vorgelegt werden, die parallel zur Bundestagswahl im Herbst 2025 stattfinden könnte.
Hanno Fleckenstein, taz, 31.01.2024
Aktuelles
Podcast „Berliner & Pfannkuchen“:
Podcast, Tagesspiegel
Anlässlich der schwarz-roten Koalitionspläne legen Lorenz Maroldt und Ann-Kathrin Hipp alle Fakten auf den Tisch und analysieren existierende Bebauungspläne und Argumente der Gegner.
Podcast von Jessica Gummersbach Lorenz Maroldt Ann-Kathrin Hipp , Tagesspiegel 31.03.2023
Argumente gegen die Bebauung
Kiez und Kneipe Neukölln:
Das berlintypische Freiheits- und Identitätsgefühl manifestiert sich weltweit erkennbar durch das Tempelhofer Feld. Durch die weltgeschichtlich einzigartige Berliner Luftbrücke ist das Gemeinschaftsgefühl der Berliner gestärkt worden und bis heute erhalten.
In Zeiten des anhänglichen und mutierenden Virus ist »das Feld« eine der wenigen Freiflächen, die den Berlinern die Möglichkeit zum Luftschnappen und der Ausübung von Sportarten bietet, unter Einhaltung der Abstandsregeln.
„Billiges Wahlkampfmanöver“ FDP-Volksbegehren zum Tempelhofer Feld stößt auf Kritik
Die Berliner FDP will mit einem Volksbegehren 12.000 Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld ermöglichen. Grüne und Anwohner fürchten eine Privatisierung.
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Das Tempelhofer Feld wird als Baufläche zurzeit nicht gebraucht
Berlin – Wenn es nach der FDP geht, soll es in Berlin sechs Jahre nach dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld einen erneuten Vorstoß für eine Randbebauung des stillgelegten Airports geben.
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An der Realität vorbei – die FDP
Genau wie bei Tegel handelt es sich bei dem Bebauungsvorschlag der FDP um ein reines Wahlkampfmanöver. Die Bürger*innen wissen nicht, wofür hier
unterschrieben wird. Von den 12.000 Wohnungen, von denen Herr Czaja spricht, steht nämlich nichts in seinem Gesetzesentwurf. Stattdessen lässt dieser Gesetzesentwurf den Verkauf des gesamten Feldes zu.
Pressemitteilung zum Vorstoß der FDP für eine Neufassung des THF-Gesetzes
Pressemitteilung der gewählten bürgerschaftlichen Vertreterinnen und Vertreterder Tempelhofer Feld-Koordination zum Vorstoß der FDP für eine Neufassung des THF-Gesetzes mit dem Ziel der Bebauung
Wir, die von den Berlinerinnen und Berlinern gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Tempelhofer Feldkoordination, sind dem Tempelhofer Feld-Gesetz von 2014 (ThFG) und der Umsetzung des bestehenden Entwicklungs- und Pflegeplans (EPP) verpflichtet.
Quellen und Links:
FDP plant 12.000 Wohnungen – Initiative will neuen Volksentscheid zum Tempelhofer Feld
Scharfe Kritik an Vorstoß der FDP – So reagiert die Berliner Politik auf die Idee eines neuen Tempelhof-Volksentscheids
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91 neue Bäume für das Tempelhofer Feld
Auf dem Tempelhofer Feld wurde am 27. Februar mit den Arbeiten für die Neupflanzung von insgesamt 91 Bäumen begonnen. Die Bürgerinitiative 100% Tempelhofer Feld begrüßt ausdrücklich die Pflanzungen, die gemeinsam mit Bürger*innen erarbeitet wurden.